Wieder ist es mir
gelungen, eine interessante Persönlichkeit für ein Interview auf meinen
braunen Sofa zu bitten. Diesmal ist es Kriminalist a. D., den ich auf der
Leipziger Buchmesse 2019 getroffen habe. Ich sage jetzt schon mal vielen
Dank für die Zeit, die Sie sich genommen habe, Herr Thiers.
Beginnen möchte ich dieses
Interview mit einer Kurzbiografie.
Kurzbiografie
Hans
Thiers wurde am 21.Juni 1946 in Wegefarth, Kreis Freiberg, geboren. Nach der
Schule und der Lehrausbildung absolvierte er ab November 1965 seinen
Wehrdienst in der Sportkompanie in Dresden. Durch „Täve Schur“ entdeckte er den
Radsport für sich und begann 1962 seine sportliche Laufbahn bei der BSG Einheit
Freiberg. Sein sportliches Können konnte er dort innerhalb des
DDR-Maßstabes bei zahlreichen Straßenrennen erfolgreich unter Beweis stellen.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits 15 offene DDR
Straßenradrennen gewonnen und eine Vielzahl von Top-Platzierungen
erreicht. Er schaffte es bis in die DDR-Jugendauswahlmannschaft. Um seine
sportliche Laufbahn weiter verwirklichen zu können, wurde er zur
Bereitschaftspolizei nach Dresden in die Sportkompanie eingezogen. Zu
diesem Zeitpunkt gehörte er der Dynamo-Auswahl an und hatte erste
internationale Einsätze in Polen und in der Sowjetunion. Mit der Dynamoauswahl
bestritt er 1966 erfolgreich die DDR- Rundfahrt. Nach Beendigung seines Wehrdienstes
erfolgte im Mai 1967 die Delegierung zum
Bahn-Radsportleistungszentrum der SG Dynamo-Gera-Mitte. Er wurde als
Sportinstrukteur in der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei Gera
eingestellt. Hans Thiers konnte jetzt sein Hobby zum Beruf machen. Im Zeitraum
von 1968 bis Ende 1971 erreichte er eine Vielzahl von sportlichen Erfolgen. So
nahm er an den Wettkämpfen der „Berliner Winterbahn“ teil und konnte 15
nationale und internationale Bahnrennen gewinnen. Dazu kamen in dieser Zeit
weitere Erfolge und Top-Platzierungen bei Bahn-und Straßenrennen in der DDR,
CSSR, Sowjetunion, VR Rumänien und der VR Polen. Insgesamt erreichte er etwa 60
Siege und eine Vielzahl von vorderen Platzierungen bei Straßen-und
Bahnrennen auf nationaler und internationaler Ebene.
Ende
1971 wurde das Bahn-Radsportleistungszentrum Gera aufgelöst. Zum Jahresende
1971 beendete er deshalb seine sportliche Laufbahn und begann ab 1. Januar 1972
eine neue Tätigkeit als Sportoffizier in der BDVP Gera. Nach der Absolvierung
eines 6monatigen Dienstanfängerlehrgangs der DVP wurde er im Mai 1973 in die
Morduntersuchungskommission der BDVP Gera als Untersuchungsführer versetzt.
Hans Thiers absolvierte danach ein 4jähriges Fernstudium an der Fachschule der
Deutschen Volkspolizei Ascherleben, welches er 1977 als Staatswissenschaftler –
Fachrichtung Kriminalistik – erfolgreich abschloß. Danach studierte er von 1978
bis 1983 – wiederum im Fernstudium - an der Humboldt-Universität zu Berlin und
erreichte den Akademischen Grad des „Diplomkriminalisten“. Im Herbst 1980
wurde ihm die Leitung der Morduntersuchungskommission des Bezirkes Gera
übertragen.
Diese
Funktion übte er bis zum 30.September 1990 aus und wurde als „Kriminalrat a.D.“
aus dem aktiven Dienst der Deutschen Volkspolizei entlassen.
Im
Zeitraum Oktober 1990 bis Dezember 1992 war er bei zwei
Versicherungsunternehmen im Außendienst beschäftigt. Am 01.01.1993 begann
er als Direktionsbeauftragter bei der Sparkassenversicherung
Hessen/Thüringen, Bezirksdirektion Gera, seine Tätigkeit. 1996 wurde er in
diesem Unternehmen zum Organisationsleiter berufen. Diese Tätigkeit übte Hans
Thiers bis zu seiner Berentung im Jahre 2011 aus.
Hans
Thiers ist seit 1969 verheiratet und hat zwei Kinder und 2 Enkelkinder. Seit
1967 arbeitet und wohnt er in Gera.
Am 24.
August 2014 erschien sein erstes Buch “Mordfälle im Bezirk Gera I“.
Dieses Buch wurde sehr erfolgreich von den Leserinnen und Lesern angenommen.
Band I wurde bis jetzt in 7 Auflagen vervielfältigt. Auf Grund starker
Nachfragen der Leser und vor allem der Buchhandlungen erschien am 23.10.2015
sein zweites Buch: „ Mordfälle im Bezirk Gera Band II“. Im März 2018 wurde die
3. Auflage gedruckt. Anlässlich der Leipziger Buchmesse im März 2018, erschien
sein drittes Buch „ Serienmörder der DDR“ Dieses Buch ist bereits in 2 Auflagen
erschienen
Im
Zeitraum 24.August 2014 bis zum 31.Dezember 2018 führte er zusammen mit
seinem Verleger Michael Kirchschlager etwa 250 Lese-Interviews in Thüringen,
Sachsen und Sachsen-Anhalt erfolgreich durch. In der Regel waren diese
Veranstaltungen zu über 90 % ausverkauft.
Interviews
im MDR-Radio, Vogtlandradio und Fernsehreportagen im ZDF, RBB und MDR folgten:
-
12. September 2014, “MDR Thüringen-Journal“ - Beitrag über die Entstehung
sowie Vorstellung Band I „ Mordfälle im Bezirk Gera “.
-
24. Oktober 2015, „MDR-Thüringen-Journal“ - Vorstellung „Mordfälle im Bezirk
Gera Band II“, mit dem 3fach Mord von Könitz 1947/1951.
-
23.November 2015, „Hallo Deutschland„ - Kindestötung Juli 1973 Neustadt/Orla -
Dieser Fernseh-Beitrag wurde mehrfach in der „Drehscheibe Deutschland“ sowie in
„Hallo Deutschland“ ausgestrahlt.
- 13.Mai
2017, „MDR-Thüringen-Journal“ - Leseinterview „ Mordfälle im Bezirk Gera I und
II“ im Schloß Nimritz
-13. und
20.September.2017, „RBB“ - Sendung „Täter-Opfer-Polizei“, Beitrag: „Die
Transitleiche von Bad Klosterlausnitz“.
-13.
Dezember 2017, „MDR“, Sendung Peter Escher „ Spur der Täter“, Beitrag: „Die
Transitleiche von Bad Klosterlausnitz“
-Desweiteren
wurden 2018 Beiträge zu den Tötungsverbrechen „Doppelmord von Gera“
und „ Doppelmord von Bürgel“ für „ZDF Info“, „Hallo
Deutschland“ und Drehscheibe Deutschland“ gedreht und bereits
mehrfach ausgestrahlt.
Sehr
interessant finde ich und beantwortet schon die Fragen " Sie waren Kriminalrat.
Wie kam es zu dem Beruf, diesen Werdegang?· und „Warum gerade diese Richtung?“
Und gehts aber los mit dem Interview. Seid Ihr
schon gespannt?
·
Sie
sprachen oft ja mit Tätern. Hatten Sie da auch schon mal Angst, diesem
gegenüber zu sitzen?
o Beschuldigtenvernehmungsarbeit gehörte
zur Tätigkeit eines jeden Kriminalisten. Entscheidend war, daß man
sich körperlich und geistig auf so eine anspruchsvolle Vernehmung
intensiv vorbereitete: Erstellung eines exakten Vernehmungsplans. Alle der bis
dahin ermittelten Untersuchungsergebnisse, objektiven Spuren, Hinweise
aus der Alibiüberprüfung, Sektionsergebnisse usw. mussten in die
Beschuldigtenvernehmung als konkrete Fragestellungen bzw. als Vorhalte
eingebaut werden. Angst hatte ich nie vor solchen Tätern. Sie werden oft
intelligenter hingestellt, als sie wirklich sind.
·
Was
war der Fall, der Ihnen am meisten im Gedächtnis geblieben ist, oder am
längten?
o Es war der Stadtwaldmord von Gera (1976), als
ein Pädophiler ein 9jähriges Mädchen sexuell mißbrauchte und anschließend
brutal tötete. Oder die Vermißtensache Michaela Wagner aus Gera. Das Verbrechen
haben wir nicht aufgeklärt und das Mädchen nie gefunden. Und auch die 6fach
Babytötung von Zeulenroda im Zeitraum von 1975 bis 1983. Damals einmalig in der
DDR!
·
Wie
kam es dazu, Bücher über Ihre Arbeit zu schreiben?
o Ich lernte 2012/2013 meinen Verleger Michael
Kirchschlager aus Arnstadt während einer Lesung, die er mit meinem Erfurter
Kollegen, Klaus Dalski, in der Bibliothek in Gera durchführte, kennen. Er
animierte mich, mein Arbeitsleben in der Morduntersuchungskommission (MUK)
aufzuschreiben.
·
Wie
sah im allgemeinen Ihr Arbeitsalltag aus?
o In der Morduntersuchungskommission zu
arbeiten, war der berufliche Höhepunkt eines jeden Kriminalisten. Die MUK war
eine operative Einheit, die für die Aufdeckung, Aufklärung und Untersuchung von
Tötungsverbrechen im Bezirk Gera verantwortlich war. In jedem Bezirk der
DDR gab es eine Morduntersuchungskommission. Berlin hatte zwei dieser
Kommissionen
o Gab es den geringsten Verdacht eines
Tötungsverbrechens im Bezirk, übernahm die MUK die weiteren Untersuchungen im
Zusammenwirken mit den entsprechenden Kriminalisten des jeweiligen
Volkspolizeikreisamtes. Bei Notwendigkeit, wurden weitere Kriminalisten
zugeordnet bzw. die „Erweiterte Morduntersuchungskommission“ dem
MUK-Leiter unterstellt.
·
Und
jetzt, wie ist Ihr Alltag?
o Durch meine 3 Bücher bin ich monatlich oft zu
Lesungen unterwegs. Wir haben seit August 2014 mehr als 250 Lesungen, vor etwa
20.000 Besuchern, durchgeführt. Mein Verleger und ich sind bereits für 2019 für
Lesungen weitestgehend ausgebucht. Ansonsten gehe ich wöchentlich meinem Sport
nach, und im Sommer wartet wieder die Gartenarbeit. Desweiteren betreuen meine
Frau und ich gern unser inzwischen 2jähriges Enkelkind, was uns viel Freude
bereitet.
·
Was
taten Sie, um von Ihrer Arbeit abzuschalten?
o Auch während meiner Tätigkeit
habe ich mich schon immer sportlich betätigt, da konnte ich abschalten.
Weiterhin haben uns unsere zwei Kinder in Anspruch genommen. Da mußte Beruf und
Familie gut organisiert werden, zumal wir auf keine Hilfe der Grosseltern
zurückgreifen konnten, die nicht vor Ort waren. Das klappte ganz
gut.
·
Gab
es auch positive Erlebnisse mit Tätern?
o
Positive
Erlebnisse mit Tätern waren, wenn sie geständnisbereit waren und mit ihnen
zielgerichtet vernehmungsmäßig und kriminalistisch gearbeitet werden konnte.
·
Wie
reagieren die Menschen auf Sie, wenn Sie sich mit Ihrem Beruf vorstellen?
o Die Leser und Zuhörer reagieren immer positiv.
Sie erkennen an, daß die Kriminalisten / Diplomkriminalisten in der DDR eine
hohe fachliche Ausbildung hatten. Die Aufklärungsergebnisse bei Mord und
Totschlag von 98 % im Bezirk Gera sprachen für sich. Die Aufklärung dieser
Verbrechen betrug in der DDR zwischen 94 und 96 %!
·
Verfolgten
Sie das Ende der Fälle?
o Wenn ein Tötungsverbrechen ausermittelt war,
wurde es dem Bezirksstaatsanwalt zu Anklageerhebung übergeben. Bei den
Verhandlungen waren wir immer bis zur Urteilsverkündung dabei.
·
Wie
schafften Sie es, unvoreingenommen und neutral zu arbeiten?
o Jeder Kriminalist mußte unvoreingenommen
ermitteln und sich an die gesetzlichen Grundlagen der DDR, d.h. das
Strafgesetzbuch und die Strafprozeßordnung der DDR halten.
·
Welche
Art von Menschen kann Ihnen noch Angst machen?
o Eine schwierige Frage. Mir macht die jetzige
Zeit ein wenig Angst, weil die Hemmschwellen der Brutalität stark gesunken
sind!
·
Lehnten
Sie Fälle ab?
o . Es wurden keine Fälle abgelehnt. Wir
hatten den Auftrag, Tötungsverbrechen möglichst schnell aufzuklären. Da spielte
Zeit keine Rolle. War der Täter ermittelt, zog wieder kriminalistischer Alltag
ein!
·
Was
ist der Unterschied zwischen einen Kriminalisten und einem Diplomkriminalist?
o Ein Kriminalist wurde an der Polizeifachschule
in Aschersleben im Direkt-oder Fernstudium ausgebildet. Ich habe an
dieser Schule ein 4jähriges Fernstudium absolviert. Anschließend habe ich dann
nach einem 5jährigen Fernstudium an der Sektion Kriminalistik der
Humboldt Universität zu Berlin dieses als Diplomkriminalist abgeschlossen.
·
War
es Ihnen manchmal unangenehm einen Mörder gegenüber zu sitzen
o Es war mir nie unangenehm, einer Mörderin oder
einem Mörder gegenüber zu sitzen. In diesem Zusammenhang ging es nur darum,
diese bzw. diesen als Täterin / Täter zu überführen. Die
Beweisführung in dem konkreten Fall war durch kriminalistische Arbeit
geprägt. Die stand im Mittelpunkt des Ermittlungsverfahrens.
·
Was
macht für Sie Ihre Arbeit so besonders?
o Die Besonderheit dieser Arbeit war, daß man
sich als Kriminalist mit seiner gesamten Persönlichkeit für die Aufklärung
dieser schweren Straftaten einbringen konnte und die Opferfamilien und
besonders auch die Bevölkerung in diesem Territorium wieder beruhigt ihren
Alltag nachgehen konnten. Dafür sorgte damals unsere gute Polizei- und
Kriminalistenarbeit.
Also ich finde es sehr wichtig, die Arbeit von
Kriminalisten. Und Herr Thiers hat uns ja einen interessanten Einblick in
seinem ehemaligen Beruf gegeben. Ich finde den Beruf nicht gerade einfach. Umso
mehr freut es mich, das Herr Thiers für mich Rede und Antwort gestanden hat.
Nochmals vielen Dank dafür.
- Mordfälle im Bezirk Gera. Band 1. Verlag Kirchschlager, ISBN 978-3-934277-47-2.
- Mordfälle im Bezirk Gera. Band 2. Verlag Kirchschlager, ISBN 978-3-934277-56-4.
- Serienmörder der DDR. Verlag Kirchschlager, ISBN 978-3-934277-75-5.
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